Interview mit Reetta Huhtanen

Interview mit Reetta Huhtanen
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Pressebild, © Suvi Sievilä

 

Sie eröffnen heute Abend mit Ihrem Film das Human Rights Film Festival in Zürich. Dies ist ein spezieller Anlass – es ist das fünfte Jubiläum des Festivals einerseits, andererseits wurde auch die Kinderrechtskonvention der Unicef vor dreissig Jahren verabschiedet. Was wünschen Sie sich für den heutigen Abend?

 

Es ist nicht das erste Mal, dass dieser Film ein Festival eröffnet. Ich habe den Eindruck, es ist ein guter Film, um einen solchen Anlass zu eröffnen, da er Hoffnung gibt. Andere Festivalfilme, die aktuelle und sehr wichtige Fragen behandeln, sind schwerer zu verarbeiten. Ich wünsche mir, dass viele Leute den Film sehen.

 

Dies ist ihr erster langer Dokumentarfilm. Wie kam es dazu?

 

Aatos, der Protagonist der Films, ist der Sohn meiner Schwester. Alles begann 2016, als ich von meiner Schwester erfuhr, dass in Aatos Leben etwas Spezielles passiert und zwar begann er nach seinem persönlichen Gott zu suchen. In Molenbeek, wo die Familie wohnte, begegnet man der Religion überall, es gibt da 26 Moscheen. Amine, Aatos bester Freund, ist Moslem und wächst traditionell muslimisch auf. Aatos hatte daher das Gefühl, etwas fehle in seinem Leben und entschied deshalb, er müsse seinen eigenen Gott finden.

 

Kinder behandeln manche Themen natürlicher, sie experimentieren und forschen. Dies kommt uns Erwachsenen oftmals abhanden, weil wir so abgeklärt sind.


Ja, Kinder beschäftigen sich manchmal mit sehr tiefgründigen Themen. Und sie können das noch auf spielerische Art und Weise tun.

 

Wie waren die Dreharbeiten mit den Kindern? Können Sie etwas darüber erzählen?

 

Für mich war es einfacher, als mit Erwachsenen zu arbeiten. Natürlich sind die Kinder anfänglich, wenn man beginnt zu drehen, am Rumalbern vor der Kamera, aber nach zwei Tagen vergessen sie, dass sie gefilmt werden. Für sie ist das Spielen und die Welt der Imagination viel interessanter, als der Kameramann. Ausserdem spreche und verstehe ich kein Französisch. Die Kinder gingen also davon aus, dass ich nicht mitbekomme, was sie sagen. Und so war es tatsächlich auch. Das half ihnen auch dabei, sich vor der Kamera natürlicher zu geben, denke ich. Natürlich wurde beim Schneiden dann alles Material übersetzt.

 

Beim Dokumentarischen Filmen stellt sich die Frage nach dem Realitätsanspruch. Man steht als Filmemacher vor dem Problem, eine Geschichte erzählen, aber keine Szenen nachstellen zu wollen. Es lässt sich also nicht alles vorhersehen und planen, wie beim Spielfilm. Wie haben Sie dieses Problem gelöst? Haben Sie mit einem Drehbuch gearbeitet?

 

Viele Wendepunkte in diesem Film waren nicht vorhersehbar. Ich hatte das erste Script im Januar 2016 und begann im Februar zu filmen. Der Terroranschlag fand im März statt. Es ist ein Wendepunkt im Film. Ein weiterer Wendepunkt zum Schluss des Films, als Aatos mit seiner Familie nach Finnland zurück zieht, beschreibt ein offenes Ende. Wir filmten diese Szenen erst 2017, ein Jahr später. Alles übrige Material haben wir innerhalb von sieben Monaten gedreht.

 

In einer Szene liegt Aatos Zuhause auf dem Bett und kriegt einen Lachanfall, nachdem er mit seiner Mutter eine Gedenkfeier für die Verstorbenen während des Attentates besuchte hat. Diese Szene hat mich sehr berührt, da sie zeigt, dass Kinder manches ganz anders verarbeiten, als Erwachsene. War die Situation für die Kinder sehr belastend?

 

Ja, manchmal war es sehr belastend. Es war wichtig, den Kindern zu erzählen, was passiert war, auch wenn das sehr schwierig war, aber sie würden es sowieso erfahren. Die U-Bahn-Station, wo das Attentat passierte, lag auf Aatos Heimweg, den er jeden Tag ging. Er hatte verstanden, dass dort viele Leute umgekommen waren, fragte dann aber, wo diese Leute jetzt sind und weshalb das passiert war. Es war sehr traurig.

 

Was glauben Sie, wie wird sich die Situation in Molenbeek weiter entwickeln?

 

Ich glaube es entwickelt sich dort vieles, Schritt für Schritt. Ich war seit den Dreharbeiten nicht mehr in Molenbeek, deshalb habe ich keine konkreten Informationen. Unsere Filmpremiere in Brüssel fand jedoch im März statt. Die Kulturverantwortliche von Molenbeek war auch dabei und erzählte uns, dass sehr daran gearbeitet wird, alles zum Positiven zu verändern. Ich glaube es geht darum, dass Menschen ihren Platz in der Gesellschaft finden. Es ist zum Beispiel schwierig für Leute, die ihre Wohnadresse in Molenbeek haben, eine Arbeitsstelle zu bekommen. Das ist nicht fair.

 

Glauben Sie, global gesehen, wird der Terrorismus zunehmen? Was ist ihre persönliche Einschätzung?

 

Das ist ein riesiges Thema und ich habe darauf keine Antworten. Der Terrorismus resultiert aus verschiedenen strukturellen Problemen.

 

Ich nehme an die Kinder haben den Film gesehen. Wie haben sie darauf reagiert?

 

Ja, natürlich. Mehrmals. Aatos liebt den Film und die Bilder auf der grossen Leinwand. An der Première in Brüssel waren die Kinder und ihre Eltern anwesend. Flos erste Frage nach dem Screening war: «War der Film erfolgreich?»

 

Sind Sie jemals angegriffen worden, weil Sie diesen Film gedreht haben?

 

Erstaunlicherweise ist das bisher nicht passiert, obwohl ich damit gerechnet hätte. Ich möchte das als positives Zeichen deuten. Vielleicht kommt das noch sobald der Film im Fernsehen ausgestrahlt wird. Ich glaube, die Festivalbesucher sind offen und ohne Vorurteile gegenüber dem Film.

 

Film ist ein sehr gutes Medium, um die Leute zu sensibilisieren auf verschiedene Themen. Wie waren denn die Reaktionen am Dokfest in München?


Die Reaktionen waren gut. Im Moment läuft der Film in Deutschland in den Kinos an und er wird auch an Schulen gezeigt werden. Ich weiss nicht genau, wann, denn ich kümmere mich nicht persönlich darum, sondern der Produzent.

 

Haben Sie bereits Pläne für ein nächstes Projekt?

 

Es steht noch nichts definitiv fest, aber vielleicht arbeite ich erneut an einem Film-Projekt mit Kindern.

 

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch und viel Erfolg heute Abend.

 

«Gods of Molenbeek» läuft noch am Samstag am Human Rights Film Festival.

 

Das Human Rights Film Festival läuft vom 5. bis 10. Dezember und rückt in seiner diesjährigen Ausgabe Kinderrechte und Frauenanliegen in den Fokus.


Für weitere Informationen: www.humanrightsfilmfestival.ch

 

Yolanda Gil / Fr, 06. Dez 2019